für die abschaffung der normalgestörten

CN: erwähnung davon, sich selbst zu verletzten und nicht mehr leben zu wollen, psychiatrischer sowie interpersoneller gewalt, süchtigem konsum

“qu’est mon néant auprès de la stupeur qui vouz attend?”

arthur rimbaud​​​​​​​

zum dritten mal am stück das plenum ausfallen lassen, weil es, wie fast alles andere in den letzten wochen, von der unermesslichen schwerkraft des eigenen bettes gefressen wurde. das mit dem “nein” nicht so ganz hinkriegen, wenns mal wieder eine*n braucht, um sich den hut aufzusetzen bis die workload so stark angewachsen ist, dass der gang in die küche zitternd und hyperventilierend auf dem flurboden endet. jeden tag so ungefiltert nah am kollaps und seinen grausamen folgen sein, dass sich nur noch abends, nach dem vierten bier am solitresen, wie lebendig sein anfühlt. jede nacht um 3:17 aufzuwachen und zwei stunden wachliegen seit den fünf tagen u-haft letzten sommer.

niemand ist mehr überrascht, wenn mal wieder ein*e kompliz*in in die klinik geht oder zwei wochen aufhört, auf nachrichten zu antworten. wir, die radikale linke, haben uns irgendwie daran gewöhnt, dass der wahnsinn einen platz zwischen uns, in uns hat. zu eindeutig belastend sind die situationen, in die wir uns begeben oder gezwungen werden, zu präsent auch die gefährt*innen, die gerade ihre vergangenen verletzungen zu uns geführt haben. was aber heißt das für uns?

wenn ich hier von uns schreibe meine ich die aktivistische radikale linke, wie sie die plenas, azs, großdemonstrationen und alternativen subkulturspaces füllt. sowas wie einer vollständigkeit wird das nicht gerecht, aber hier abzudecken, wie schraubend schrullige wagenplatzcommunities, martialisch männliche sprayercliquen, entspannt esoterische landlinke, knallhart konspirative autonome und frivol friedliche großstadtqueers jeweils die eigene psychische gesundheit verwalten würde den rahmen sprengen. und der punkt an dem all diese identitätsentwürfe (von denen wir als einzelne ja eh oft mehr als einen als bezugspunkt wählen) verschwimmen ist eben diese diffuse “radikale linke”, ungreifbar, aber doch irgendwie da.

das gängige bild dieser radikalen linken sagt: obwohl wir eben ein raum sind, der durch sein versprechen von gemeinschaft, toleranz und davon, das mit der freiheit zumindest mal zu versuchen, die außenseiter*innen, verletzten und erschlagenen, kurz, die irren anzieht sind wir nicht gut darin, platz für genau diese zwischen uns zu machen. und ganz unwahr ist es auch nicht: viele linke räume werden bestimmt von einem unsichtbaren netzwerk ungeschriebener sozialer regeln und kompliziert performter coolheit – wer nicht mitkommen kann oder darunter aktiv leidet: pech gehabt. und für die abgrenzungsschwachen ist der ewige notstand, in dem viele aktivistisch orientierte plenas funktionieren, ein anhaltender quell von heraus- und überforderung – die häufig noch beinahe lustvoll angenommen wird, das eigene selbst dabei zur heiligenfigur der völlig selbstlosen aktivist*innen zugespitzt, die alle eigenen bedürfnisse für die sache, den kampf, die revolution aufgeben. allgemein sollte es uns stutzig machen, dass wir so ungern und selten über die eigenen bedürfnisse reden, die wir mit unserem aktivismus zu stillen versuchen. das ganze hängt auch zusammen mit dem fortbestehen patriarchaler muster in unseren räumen – die hexe, die hysterische, die borderlinerin: der wahnsinn ist das weibliche gegenstück zur männlichen rationalität. hier mal beiläufig gedroppt, weil ich mich dem im text nicht weiter widmen kann.

und auch meine früheren eigenen erfahrungen scheinen mir das zunächst zu bestätigen: wenn wer aufhörte zum plenum zu kommen aber jeden abend besoffen bei der küfa aufschlug gingen keine augenbrauen hoch und wenn ich selber gerade diese jemand war, war ich auch glücklich mit meinen friends saufen zu können und mich dabei vor unangenehmen fragen sicher zu fühlen. der gruppe zu sagen, gerade keine neuen aufgaben annehmen zu können (damals sagte man noch nicht “kapas”) war schon irgendwie okay, aber so ein paar gesichter in der runde sind schon in richtung säuerlich gekippt. und sowas wie eine emorunde war differenzfeministische esoterik. als sich dann mal ein halbes jahr lang die politischen ereignisse draußen in der welt überschlagen haben und ich ohne irgendeine form von bewusstsein für meine eigenen grenzen außer “ich glaub ich brauch erstmal n joint” einfach mitgerannt bin gab es keinen moment, in denen meine genoss*innen und kompliz*innen bei mir eingecheckt oder hilfe angeboten hätten und als ich mit dem unvermeidbaren burnout mich erstmal aus allem rausnehmen musste wurde da auch nicht wirklich drüber geredet – ich war halt raus aus der gruppe. es folgten ein paar jahre abstand zu viel radikaler politik (inclusive eines kurzzeitigen abrutschens in richtung parteipolitik, das wohl deutlichste symptom meines leidens) und einiges an therapie und veränderung.

aber, meiner beobachtung nach, ist die linke in den letzten jahren zusammen mit dem rest der gesellschaft einer gewissen vermainstreamung des therapeutischen mitgegangen. was damit gemeint ist, ist, dass sich das thema der psychischen erkrankungen aus der schmuddelecke rausbewegt hat, in der es mal zusammen mit “harten” drogen und zu perversem sex vor sich hin darbte. es ist, zumindest in den liberalen kreisen der bürgerlichen gesellschaften, ganz normal geworden von seinen depressionen oder klinikaufenthalten zu erzählen – der begriff klinik beschreibt auch etwas ganz anderes als noch vor 20 jahren, als er vor allem eins meinte: die geschlossene, einen ort von zwangsmedikation und anderen formen psychischer wie physischer gewalt, für den das angstgeladene wort “klapse” gefunden wurde. wer heute in die “klapse” geht meint damit in der regel einen teil der örtlichen uniklinik oder eine in netter landschaft gelegene psychosomatische wohlfühlklinik. das essen vielleicht nicht unbedingt das beste, aber weitestgehend selbstbestimmt, was behandlung, medikation und entlassungsömglichkeiten angeht. vielleicht brauchts aber ja auch gar keine klinik. so breit wie das therapeutische angebot (verglichen mit der situation vor einigen jahren) aufgestellt ist. für jede*n gibts den passenden therapieansatz, auch wenn die wartezeiten teils ein trockener witz sind – aber um die wartezeit zu überbrücken gibt es selbsthilfegruppen, youtubekanäle und bunt-zugängliche infographics auf einer ganzen armee von wellness-instagrammprofilen. und wer es sich leisten kann geht dazu noch zur held*innenreise oder der systemischen beratung. irgendwo finden wir schon unseren platz in der schnurrenden maschine der urbanen therapeutisierung.

hier lernen wir erst einmal uns selbst zu erkennen, unsere eigenschaften in der sprache der symptome formulieren und, diese zusammenfassend, unsere identität in der sprache der diagnosen. um deren entpathologisierung zu kämpfen ist deshalb auch ein zentraler teil des linksliberal-progressiven diskurs geworden. ausgehend von dieser selbsterfassung lernen wir, eingespannt in eine dreieinigkeit aus selbstwert, achtsamkeit und regulation, uns besser, funktionaler zu verwalten: wir lernen, welche situationen zu vermeiden hilft, nicht übermäßig aktiviert zu werden und mit welchen skills wir, wenns doch mal zu viel oder wenig wird uns zurück in unser toleranzfenster holen. wir erkennen die alten muster, die uns im alltag ein bein stellen und wie wir mit einer individuell getunten selbstführungspersönlichkeit diese muster brechen und andere, konstruktivere an ihre stelle setzen. wir lernen uns zu lieben, erst in der idee und dann, wie bell hooks sagte, als aktion, lernen selfcare, downtime, milde.

auch viele von uns linken nehmen diese angebote gerne und dankbar an. und ihre wirkung ist in meiner wahrnehmung auch in unseren räumen zu spüren: das klima auf vielen plenas und anderen kollektiven begegnungen ist wärmer und offener geworden, räume zu schaffen, an denen sich menschen ruhig und wohl fühlen können ist keine nette nebensächlichkeit mehr, sondern die prioritätenliste nach oben geklettert und ein verständnis dafür, dass die kapazitäten der einzelnen oft nicht ausreichen und abstriche gemacht werden müssen ist, abgesehen eh eher dubioser kaderorganisationen, auf dem vormasch. alles auf dem richtigen weg, oder? wenns nur so einfach wäre.

die mir vollauf unsympathische poptherapeutische bestellerautorin stefanie stahl macht, das vielleicht einzige an ihr, das ich respektiere, seit einiger zeit den begriff der normalgestörten stark. normalgestört, dass sind die leicht bis mittel depressiven, die, deren ads in der informatik sogar ein vorteil geworden ist aber das freund*innenschaften halten schwer macht, die, die halt manchmal ein bisschen arg ängstlich im aufzug werden oder die schon mal ein bisschen zu panisch werden, wenn sie eine trennung am horizont vermuten. kurz: die, die schon ihre symptome mit sich durch die welt tragen, aber sich in einem tolerierten rahmen an alltagsfunktionalität und verwertbarkeit bewegen. und damit spricht stahl eine zwar unscharfe, aber nichts desto trotz wirksame grenze aus, die das mainstream-therapeutische mit sich gebracht hat. auf ihrer anderen seite finden sich neben stalkenden, narzist*innen und anderen, die vom leid anderer zähren auch die fixer*innen im heckigen park, der alte mensch, der in der bahn laut mit sich selbst darüber redet, vom bnd entführt worden zu sein und die, bei denen die frischen narbenteppiche auf den oberarmen noch weit nach der pubertät auftauchen.

schaue ich mir an, was die radikale linke von diesem therapeutischen mainstream annimmt, dann ist was ich sehe gar nicht so anders: bestimmte formen von zumindest nicht allzuseltenen normalgestörtheiten (ad(h)s, autismus, depressionen – alles drei das muss dazugesagt werden, eher im leichten bis mittleren bereich des spektrums,…) werden warmherzig akzeptiert, während andere sogar leicht bewundert (und oft genug nicht als form von dysfunktionalität erkannt) werden: die workaholics, ohne die die gruppe sofort zusammenbrechen würden, die, deren dissoziativer panzer die form abgeklärter härte annimmt und die, die ihre eigenen bedürfnisse ignorieren können ohne dabei zusammenzubrechen.

ist es nicht auffällig, dass auch für uns leistungs- und normkritische linke genau die, die zur funktionalität hin therapiert werden können oder die, deren irre sein ist, besonders gut zu funktionieren, die sind, mit denen wir uns am leichtesten tun?

und auch, was wir an therapeutischen praxen mitnehmen unterscheidet sich nicht groß vom anderweitigen mainstream, nur dass wir vielleicht etwas mehr fokus aufs gemeinschaftliche legen: aus dem bubble bath wird der wellness abend mit friends, statt zu joggen wird gemeinsam in die boulder halle gegangen, beim gruppenwochenende gibts nach dem morgenplenum erstmal eine achtsamkeitsübung. nur beim yoga nicht – das machen zwar trotzdem alle, aber alleine, nur ab und zu und ohne drüber zu reden. aber auch hier: beruhigung und regulation.

ich merke, mich daran angepasst zu haben, mich in diesem klimaa zu bewegen. und so rede ich offen über meine depressionen, über mentalen overload und executive dysfunction, darüber ab und zu mal eine halbe stunde dissoziiert auf der couch zu sitzen und dass es mir immer noch manchmal schwer fällt, mir wichtig genug zu sein um was zu essen zu kochen. ich erzähle stolz von den erfolgen, die ich im umgang mit meiner sucht hatte, liebevoll von der hart erkämpften immer stabileren fürsorglichen beziehung zu mir selbst. sowohl weil es eine art ist zu mir zu stehen wie auch mit dem politischen hintergedanken, damit einen beitrag zur abschaffung von normalität zu leisten. aber all diesen ansprüchen zum trotz weiß kaum jemand, dass selbst in guten zeiten selbstmordgedanken ein häufiger gast in meinem alltags sind. dass unter dem ich, als das ich wahrgenommen werde, ein wir lebt, das, je mehr ich inmitten einer krise die kontrolle verliere, mehr teile meines lebens managt und wie oft mich dieses zerfließen gerettet hat. und dass es, selbst bei allen beiläufigen, aufgeklärten kommentaren zur eigenen abhängigkeit das letzte mal, das mir mein alltag nur auf einer schmalen brücke aus ketamin und speed balancierend machbar vorkam nicht so lange her ist, wie ich das gerne hätte. warum ich darüber nicht rede? ein ungreifbarer, wabernder mix aus scham, wut vor vermuteten mitleidsreaktionen und der angst, räume und beziehungen zu verlieren weil ich ohne es zu ahnen eine linie übertreten habe, hinter der der ausschluss wartet. auf welcher seite der trennung ich mich selbst verorte ist übrigens völlig nebensächlich – allein die möglichkeit von anderen jenseits der linie platziert zu werden ist, was mich hier bedrängt.

das warum eines dies- und jenseits der linie entsteht aus einem scheinbaren “zurecht”, die verbannung hinter sie als konsequenz aus verhaltensweisen, die als gefährlich oder zumindest antisozial oder nicht mit unseren werten vereinbar gelten: wer auf kränkung nur mit fight-response reagieren kann, schnell verbal oder sogar physisch zum angriff übergehen will, wessen eigenes ertrinken in sich so existentiell bedrohlich ist, dass es zur um sich greifenden aura wird, die andere mit sich hinab ziehen will, wer hinter das maß einer akzeptierten verpeiltheit hinaus unzuverlässig wird, bis selbst die elementaren bestandteile des alltags nicht nur phasenweise kollabieren, wer sich so weit in die mit misstrauen ausgepanzerten grenzen des eigenen selbsts zurückzieht, dass das soziale miteinander zum taktieren wird und das bilden von bindungen zum immer wieder scheiternden kraftakt, wer von den eigenen emotionen so überwältigt wird, in der öffentlichkeit zu gefühlsausbrüchen und momenten ungefilterter mitteilung zu verfallen. die manipulativen, die verschlossenen, die ausrastenden, die unberechenbaren. schnell werden dann auch in unseren kreisen diagnosen zu schimpfwörten, ohne, dass es den meisten auffällt, wird auch von gefährt*innen der vom kaufland rassistisch pöbelnde im vorbeigehen abfällig “alki” betitelt und die zu dramatischen konflikten neigenden exbeziehung mit den freund*innen am kneipentisch als “sooo borderline” der vergangenheit übergeben. was sie alle eint und, so meine these, zum ursprung einer vermeintlichen gefahr und eines tatsächlichen grusel macht ist ein hoher grad an unkontrollierbarkeit ihres verhaltens und ihrer gefühle – durch uns und oft auch eben durch sich selbst. auf diese unkontrollierbarkeit wollen wir unten wieder zu sprechen kommen. erstmal sei aber darauf hingewiesen, dass selbst innerhalb der vermeintlich von uns akzeptierten symptomatiken ausschlüsse in unseren psychologischen perspektiven und therapeutischen praxen derer passieren, die an die ränder verdrängt wurden. ich meine unter anderem das 1/3 der gefängnisinsass*innen, bei denen eine form der ads vermutet wird, die autist*innen, die entmündigt der gewalt ableistischer pflegeeinrichtungen ausgeliefert sind und den depressiven, deren andauernde verstimmtheit sie zwangsmedikiert auf geschlossenen stationen festhält – die also, die die mitte der gesellschaft an ihren rand und aus ihrer wahrnehmung vertrieben hat, die keinen platz auf pastellfarbenen insta-infographics haben und denen keine gruppen-empowerments-angebote, denen allgemein kaum noch angebote gemacht werden.

aber das eben ist problem des gedanken der normalgestörten: einteilung in gute & schlechte irre (die selten so direkt ausgesprochen, aber jeden tag in der praxis vollzogen wird) erzeugt genau die ausschlüsse, in denen gerade den schwerst symptomatischen die chance auf gemeinschaft, anerkennung und davon ausgehend veränderung genommen wird. und so gehen auch die therapeutischen angebote, die sich in unseren räumen angeeignet werden häufig an den bedürfnissen der abnormal gestörten vorbei oder sind sogar bedrohlich bis gefährlich für sie. das eine gesichtsmaske oder die yoga-session nutzlos bis höhnisch für die, die den weg aus der spirale von abhängigkeit und erniedrigung nicht finden ist, mag noch auf der hand liegen. aber schon kaum noch jemand hat auf dem schirm, dass achtsamkeitüsbungen für menschen mit schwerer dissoziativer symptomatik nicht unbedingt eine entspannte technik sind mal mit sich selbst in touch zu kommen, sondern das risiko besteht, dass die auflösung einer dieser dissoziativen schichten durch das mal in touch mit sich selbst kommen einen teil hervorbringt, der völlig in rage darüber, jahrelang aus überforderung eingesperrt worden zu sein, unkontrollierbar eigen- oder fremdgefährdend ist. von einem konzept, wie mit diesem fall umgegangen werden sollte, wie ein raum gehalten werden soll, in dem ihm, gerade in seiner ganzen bedrohlichkeit, offen und neugierig begegnet werden kann statt das drama von abwehr, hass und scham zu wiederholen habe ich bisher noch nirgends wo auch bei uns der therapeutische mainstream blüht gehört. ehrlich gesagt noch nichtmal, das über diesen fall nachgedacht wurde – und genau diese lücke, das nicht-mit-einbezogen werden, ist, was mir klar macht, dass vieles was da so entsteht nichts für mich und andere, die noch mehr mit sich tragen, ist.

viel übernehmen wir als radikale linke einfach den therapeutischen mainstream und damit die liberalen grundannahmen zur psychischen gesundheit, die diesen zugrunde liegen. es geht um funktionale individuen, einzelne, die aus einer mischung aus individueller biographischer erfahrung und etwas unglück in der genlotterie heraus, zu einem individuellen leidensschicksal verurteilt sind.  ziel im umgang mit diesen leidensschicksalen ist es durch individuelle (ein wort, dass hier in den boden geritten werden muss) verantwortungsübernahme – einsicht, beruhigung und regulationsfähigkeit – die notwendigen skills zu entwickeln ein mindestmaß an funktionsfähigkeit und kontrolle kontinuierlich gewährleisten zu können, ein weg der allen, wenn sie es nur genug wollen offen steht.

aus diesen liberal-progressiven annahmen über psychische gesundheit entstehen politiken und dynamiken deren folgen die klassischen folgen liberaler sozial-politiken sind: die depathologisierung und normalisierung eines – anderweitig privilegierten – teils der marginalisierten gruppe gelingt und das ihnen ermöglichte streben zur anerkennung schafft in seinem schatten neue, ungreifbarere unsichtbarkeiten. genau da, wo manchen der alten gruppe jetzt das recht zu sprechen zugestanden wird werden die, die zurückgelassen werden umso blasser, verdrängter, “falscher”.

das abstreifen des stigmas von teilen des wahnsinns lässt die, die stigmatisiert bleiben, umso schmuddeliger, abnormaler wirken oder erzeugt ein schamhaftes schweigen – dem selbstbewussten, fast etwas stolzen berichten vom herbstlichen aufenthalt in der wellness-“klapse” gegenüber steht das häufige schweigen derer, die eine wirkliche klapse von innen gesehen haben und in der auf die rücksicht mit den gegenseitigen neurodivergenzen stolzen wg ist es auf einmal doch zuviel, die person mit erfahrungen von schizophrenie einziehen zu lassen.

vielleicht ist es ja ungnädig, so von einer eigentlichen fortschreitenden bewusstwerdung zu schreiben, vom entstehen von wissen, individueller wie kollektiver handlungsfähigkeit & momenten von gemeinschaft – aber heißt eine radikale machtkritik nicht auch immer genau da, wo wir unsere fortschritte erzielen, die echten wie die vermeintlichen, genau zu schauen, welche ausschlüsse und neue hierachien wir dabei schaffen? denn es geht eben nicht ums lächerlichen machen der normalgestörten, noch leugnen ihres fraglos echten leides. sondern ums aufmerksam machen, auf die unsichtbaren machtdynamiken die unfertige befreiung und der nur vermeintliche fortschritt, den die normalisierung bedeutet, mit sich ziehen.

und viel dringlicher als eine eventuelle ungnädigkeit wird sicher für manche wiegen, dass nur am rande bisher das thema von eigen- und fremdgefährdung gestreift wurde. einige der von mir über den text aufgezählten verhaltensweisen sind ohne frage gewalt, die abseits legitimer rechtfertigungen auftritt, abseits unserer werte, die art von gewalt, gegen die wir als zur freiheit drängende einstehen müssen. ein gedanke, dem ich an keiner stelle wiedersprechen würde, aber genau hier für ein scheinargument halte weil: unser umgang löst es nicht.

damit will ich nicht sagen, dass wir grenzüberschreitendes oder gegen die falschen leute gerichtetes gewalttätiges verhalten zwischen uns dulden soll – aber ich sehe auch nicht, wie unser aktueller umgang des regulierens, zensierens und ausisolierens des kontrollverlusts diese gewalt effektiv verhindern würde. stattdessen macht er es zu einer frage von privilegien, wer sich kontrollverlust und gewalt erlauben kann und wer dafür strafe und ausschluss fürchten muss. und wie dort, wohin wir verstoßen, die gewalt umso umgehemmter weiterblüht während die ressourcen die benötigt sind, um muster von gewalt und ungewolltem kontrollverlust zu veränden, wo also materielle sicherheit, anerkennende gemeinschaft und sinnstiftende tätigkeit noch weniger zugänglich sind. unsere lösung der gewalt ist also, sie aus unseren augen zu verbannen und sie dann an den anderen zu kritisieren.

stattdessen müsste es uns darum gehen wirklich radikale ansätze von psychischer gesundheit und fürsorge zu setzen, solche, die nicht den liberalen mainstream in die sprache der nichthierarchie kleiden, aber sonst wiederholen, sondern die eigene, radikale, organische perspektiven entwickeln. zuerst müssen wir die bürgerliche figur des individuums aus ihrer ideologischen hülle austrennen und so den wahnsinn der einzelnen als momente eines gesellschaftlichen gefüges sehen, den wahnsinn zurück einbetten in seine gesellschaftliche bedingtheit, aus der der diskurs von pech in der genlotterie und biographischen schicksalsschlägen ihn lösen will. es geht darum anstelle von ungesundheit & pathologie gesunde reaktionen auf ungesunde umstände zu sehen und unseren umgang entsprechend auszurichten. ja, irgendwo steckt hier auch wieder der aufruf nach der großen umwälzung, aber wie immer gilt, dass sich auf diese nicht warten lässt sondern sie im kleinen vorweggenommnen werden muss und wir zonen befreiten wahnsinns und gemeinschaften geteilter ungesundheit im hier und jetzt schaffen müssen.

dazu gehört auch, uns ein für alle mal von einem politisch nutzbaren begriff der normalität zu verabschieden. wir bewegen uns hier in ein wackliges feld, dass in diesem text nicht mal im ansatz befriedigend geklärt werden wird. denn für uns, als einzelne und communities ist normalität, ist die relative sicherheit, die mit ihr kommt, ist die verlässlichkeit des alltags und die ruhe, die seine rituale bringen, sind diese formen von normalität erstrebenswerte fluchtpunkte unserer leben, vermutlich sogar notwendig, um eine transition von überleben zu leben zu gewährleisten. zeitgleich aber hat die normierung von normalitäten, wie sie dieser, aber auch anderen gesellschaftsformen zu eigenen ist, eine wesentliche tendenz zu einer bewegung zu werden, anhand derer die ausgrenzung organisiert werden. und so werden auch wir als linke da wo wir versuchen normalitäten zu schaffen immer wieder nur teile der mechanismen, die herschende und ausgeschlossene kreieren – das wahnsinnige, das perverse, das verachtete, das abnormale: hören wir auf, sie, uns, retten zu wollen, indem wir erklären, irre seien wie alle anderen nur anders (oder auch: neurodivergent). keine anbiederung, die immer selbstverrat bedeutet, sondern integrität uns selbst gegenüber, stolz auf unsere arten, das unmögliche überlebt zu haben, die unvereinbarkeit mit der herschenden gesellschaft, die das in uns erzeugt hat und den kampfesgeist, aus dieser unvereinbarkeit einen zur handlung werden schrei zu machen – vermittelt mit der milde sich selbst gegenüber auch orte von einkunft, ruhe und normalität zu brauchen.

teil dieses ansatzes müsste auch sein, nicht einfach die praxen des therapeutischen mainstreams eins zu eins zu übernehmen und eine veränderung zu erwarten – eine haltung ähnlich zum scheitern verurteilt wie der versuch, die revolution auf instagram zu organisieren. wir müssen weiterdenken, was diese begriffe und werkzeuge für uns sind, welche uns nur einhegen und beruhigen sollen und welche wir weiterdenken.

ist nicht nach einem tag voll erfahrener lohnarbeitserniedrigung oder transfeindlicher diskriminierung mit den kompliz*innen und einer tasche voller spraydosen in die nacht loszuziehen nicht genauso ein akt von self-care wie das bubble bath? und kann das splittern einer glasscheibe nicht den sensorischen eindruck eines räucherstäbchens ersetzen? wo sollte, was die selbstfürsorge angeht, der unterschied zwischen einem darkroom und einem yogakurs sein? wo zwischen boxsack und fascho-kinn? ich will nicht sagen, dass es diese unterschiede nicht gibt, auch nicht, dass manchmal ein warmes bad, ein räucherstäbchen, eine ruhig liebende umarmung genau das ist, was wir für den moment brauchen. aber ich will vorschlagen, dass wir uns darin, was für uns formen von beruhigung, selbstfürsorge und einkehr sind aus unseren alltagen heraus, der gewalt, erniedrigung, gemeinschaft und ermächtigung, die teil dieser sind inspirieren lassen statt ausschließlich auf den input einer mehrheitsgesellschaft zu dem wir in einem instabilen verhältnis stehen, auf sie verwiesen und von ihr abhängig sind, uns manchmal wünschen teil von ihr zu sein und manchmal etwas gänzlich anderes an ihrer stelle, zu der es uns aber nie ganz gelingt eindeutig dazu oder eben nicht dazu zu gehören.

denn für sie markieren wir, in unserer kritik, unserem drängen nach befreiung und dem kampfgeist, mit dem wir beides in aktion erleben wollen, ein element des unkontrollierbaren. klar: wir sind auch gemeinschaftsbauende, auffangende, kreativ wirkende aber ein teil von uns wird, dies das versprechen einer radikalen machtkritik, immer in richtung auflösung und destabilisierung drängen, immer einen gegenpol zu stabilität und ordnung, zu kontrolle markieren. und ist dieses unkonrollierbare wesen nicht etwas, auf dass wir stolz sind? und auch nicht etwas, für das uns stigmatisierung oder gleich offene repression entgegen schlägt?

umso tragischer ist dann doch, wenn wir nach innen genau diese bewegung nachvollziehen, selbst zu denen werden, die die unkontrollierbaren managen und zensieren und, wo sie dadurch nicht unter kontrolle zu kriegen sind, isolieren und ausschließen. dass wir hier zu einer imitation der mehrheitsgesellschaft werden, im kleinen wiederholen, was uns im großen selbst entgegenschlägt.

stattdessen sollte es uns darum gehen, formen des aktiven einbeziehens derer, die selbst aus unserem funktionsempfinden heraus fliegen zu entwickeln. das ist, zugegeben, an dieser stelle ein satz, der sich leicht schreiben lässt aber dessen umsetzung in die praxis ungleich schwerer wird. weil ja: es wird kompliziert, anstrengend und voller rückschläge sein – aber ist das nicht etwas, dass wir als solche, die an einer, wenn auch noch so kleinen, hoffnung von umwälzung und befreiung festhalten, kennen und zu akzeptieren gelernt haben sollten?

ich will das alles gar nicht naiv schön reden, natürlich geht es hier um viel abfuck – den der bereits ist, der war und der noch vor uns liegt. nur wir fangen in unseren versuchen auch nicht bei null an. denn sind nicht wagenplätze, sprayercliquen, landkommunen, autonome gruppen und queere communities nicht schon genau versuche, solche orte, zusammenhänge und beziehungen zu schaffen? arbeiten wir nicht schon grundlagen und umgänge, von denen aus sich ein solcher versuch der umarmung des unkontrollierbaren aus machen ließe? nur, dass wir dabei vielleicht zu oft verpackungen und vorannahmen über den wahnsinn übernehmen, die gar nicht unsere sind, sondern die wir nur rezipieren. die den wahnsinn einfangen, nicht aber ihn ernst nehmen wollen.

ihn ernst zu nehmen ist, in ihm eine notwendige folge des zerstörerischen tanzes dieser gesellschaft zu sehen. das hieße, dass wege zu finden unsere formen von gemeinschaften sowohl wiederständig wie flexibel genug zu machen genau die stürmischsten und ungreifbarsten unter uns zu halten, ihnen einen ort des ankommens und der verwandlung bieten zu können, auch genau die form von gemeinschaftlichkeit und handlungsfähigkeit zu finden, die effektiv in den tanz eingreifen können. denn wenn wir aufhören, das bürgerliche spiel von den normalgestörten und den verlorenen mitzuspielen sondern anerkennen, dass den tanz mittanzen, in seinem treiben reibungsfrei funktionieren zu können vielleicht unter pathologischsten und erklärungsbedürftigsten aller anpassungsleistungen – ein übrigens angenehm neutrales wort für das, was sonst symptomatik genannt wird – sein könnte, können wir schnell sehen: none are sane until everyone is crazy.