CN: Suizid, Depression
Als ich mit politischer Arbeit angefangen habe, fand das leider nicht in einem sweeten, Gruppendynamiken reflektierenden Umfeld statt. Sondern in einem mackrigen (meine Handykorrektur macht mickrig daraus), hierarchisch geprägten kommunistischen Umfeld (das ist lediglich meine Erfahrung. Ich hoffe doch es ist nicht in allen kommi Gruppen so). Gefeiert wurden die Menschen, die “krasse” Aktionen gemacht haben. Und die Menschen, die in der Hierarchie oben irgendwelche Entscheidungen getroffen haben. Gelegentlich fällt mir peinlich berührt auf, dass ich diese patriarchale und problematische Bewertung von unterschiedlicher politischer Arbeit immer noch verinnerlicht habe.
Teil meiner politischen Sozialisation ist auch die Erzählung über A., die sich im Laufe eines langen Verfahrens das Leben genommen hat. “Sie hat den Druck nicht ausgehalten”. Ich habe sie nicht kennengelernt, aber enge Menschen aus meinem damaligen sozialen und politischen Umfeld kannten sie. Erzählt wurde “darüber” eher leise oder spät nachts betrunken. In den Erzählungen ging es auch um mangelnde Unterstützung aus „der“ linken Szene. “Hätten die mehr über ihre Gefühle gesprochen, wäre das vielleicht nicht passiert”. Und viele offene Fragen: Hätte überhaupt was geändert werden können? Inwiefern sind Suizide Teil von Selbstbestimmung? Kann ein Suizid im Kapitalismus selbstbestimmt sein? Hat sie sich umgebracht, wegen der Justiz und den Bullen? Was bedeutet es für ein Hausprojekt, wenn sich eine Mitbewohnerin das Leben nimmt? Welchen Raum brauchen Gefühle und psychische Probleme in politischen Kämpfen?
Was sind überhaupt die richtigen Wörter, um über so ein Thema zu schreiben?
Die Erzählung über A. taucht in meinem Kopf auf, wenn ich mich schmerzhaft daran erinnere, dass ich selbst sehr kurz davor war mein Leben zu beenden. Und das auch in einer Aktionsvorbereitungsphase. In dem Moment war mir alles sehr sehr egal, aber ich frage mich rückblickend, warum niemand da war. Warum saßen die anderen beim Plenum und niemand 15 Meter weiter hinten neben mir auf der Isomatte und hat mit mir gewartet bis es wieder besser wird? Dann denke ich auch daran, dass das Thema andere triggert und es viel
Verantwortung ist, die ich niemand aufbürden möchte. Andere auch keine Kapazitäten haben, selbst struggeln. Trotzdem macht es mich traurig und wütend. Das sind dann die Situationen, über die ich mit fast niemandem spreche. Mal sagen, dass es gerade wieder eine schlechte Phase ist, das ist okay, das ist akzeptiert. Zu sagen “hey, mir gehts nicht gut. Ich habe mal wieder in meinem Alltag Fantasien darüber, wie ich mein Leben beende” ist nicht so akzeptiert. Und dann bin ich in einem Zwiespalt. Einerseits wünsche ich mir manchmal, dass ich mehr mit Menschen drüber sprechen kann, andererseits halte ich es auch nicht aus, wenn Menschen darüber sprechen während ich in einer “schlechten Phase” bin.
Auch in manchen depressiven Phasen hängt die Erzählung von A. über mir. Sie ploppt auf, wenn ich vor Aktionen darüber nachdenke, ob ich gerade psychisch mit einem Verfahren umgehen kann. Und wenn es mir gerade gut geht, bleibt das so? Kann ich mich darauf verlassen? Ist es meinem Umfeld gegenüber überhaupt fair, wenn ich mich in Situationen begebe, mit denen ich dann evtl. psychisch nicht umgehen kann? Und die dann wieder ultra viel Care Arbeit übernehmen müssen? Ist es mir, meinem eigenen Leben gegenüber fair? Ich habe angefangen mich immer mehr aus aktionistischen Sachen rauszuziehen. Seit einer Weile helfe ich lieber mal beim Transpi malen oder übernehme Solibarschichten. Es hat eine Weile gedauert bis ich diese Sachen im Vergleich zu aktionistischen Sachen nicht mehr abgewertet habe. Dann musste ich dem mickrigen Macker in meinem Kopf erklären, dass das auch relevant ist. Ist es nämlich!
In dem Zine “Stay Rebel. Wie bleiben wir widerständig?” wird kritisiert, dass viele linke Menschen sich immer mehr in Repro- und Strukturarbeit “zurückziehen”, um so älter sie werden. Ich teile diese Beobachtung. Aber auf mich selbst bezogen frage ich mich auch, wie Sachen anders gehen sollen. Was soll ich machen, wenn ich manchmal vor Demos, bei denen höchstwahrscheinlich nix passieren wird, schon Tage davor angespannt bin? Ich über mich weiß, dass ich in stressigen Situationen zB mit Cops manchmal in so eine handlungsunfähige Starre verfalle? Und ich das häufig nicht planen kann, wodurch ich nicht zuverlässig handeln kann. Seit einer Weile geht auch jede Woche einige Zeit dafür drauf, Sachen zu machen um psychisch stabil zu bleiben. Wie viel Achtsamkeitstraining muss ich wohl noch machen? Wie viele Gespräche mit Freund*innen und Therapeut*innen führen? Irgendwann nochmal paar Wochen in eine Klinik? Oder wird ab jetzt alles eher besser? Da bleibt oft gar nicht so viel Zeit für Politik. Alles nicht so leicht. Dabei gibt es noch so viel zu tun.
Rest in Power A.