CN: Depression, Gewalt, Polizeigewalt
Es gibt immer wieder Struggles, Chaos, nicht eingehaltene Termine und der wöchentliche Stress, es pünktlich zum Plenum zu schaffen. „Entschuldigung, sorry, ich besser mich, ja klar übernehme ich diese Aufgabe… sorry, dass ich es wieder nicht geschafft habe“ Vielleicht wird es ja das nächste Mal was. Und dann: drip, drip, drip. Rausgedropped aus der Gruppe ohne Abschied.
Ich würde so gern schaffen, was die anderen schaffen; Lohnarbeit, Studium, Orga- und Repro- Aufgaben im Plenum übernehmen, schlaue Sachen sagen und nicht ausrasten bei emotionalen Themen. Oft fühlt es sich für mich an, als wäre ich mehr Belastung als Bereicherung für die Gruppe. Ich ahne, dass die Wut über meine partielle Unfähigkeit auch von anderen gespürt wird. Immer und immer wieder frage ich mich: mache ich genug? Trage ich genug bei? Hab‘ ich zu viel geredet und dabei zu wenig gesagt? Meistens fühlt es sich an, als würde ich den Aufgaben, der Gruppe, der Idee nicht gerecht werden können. Hin und wieder bricht dann alles in mir zusammen und dann nehme ich mich raus. Aus dem Plenum, den Aufgaben, der Verantwortung. Und dann weiß ich nichts mehr mit mir anzufangen. Spätestens an Tag 4, wenn alle Tränen geweint, alle Kissen verprügelt und jeder Baum angeschrien ist kriecht die Leere zurück in mein Bett, die mich allein fühlen lässt. Die Hoffnungslosigkeit klopft wieder an und mit ihr der Selbstzweifel. Es ist unterschiedlich, wie lange es dauert, in diesen Gefühlen zu verweilen. Doch irgendwann kommt die Wut zurück. Auf die Welt, ihren Schmerz und ihre Ungerechtigkeit. Und ein Verantwortungsgefühl, das mir sagt, irgendetwas tun zu müssen. Anzünden möchte ich diese Welt dann. Diese Fantasien kochen in mir hoch und holen mich aus meiner Erstarrung zurück, bringen den Motor wieder ans laufen. Voller Tatendrang gehe ich ins Plenum, „ich bin wieder zurück – ja, gib her die Aufgaben“. Ich will jetzt auch wieder schlaue Sachen sagen.
Als radikale*r Linke*r macht mensch ja aber auch actionreichere Sachen als im Plenum sitzen und Texte schreiben. Man prügelt sich mit Cops oder Nazis oder Nazi-Cops. Zumindest ist dieses Bild tief in mir drin, auch wenn ich weiß, dass diese Arbeit oft die unwichtigste ist. Jedoch ist es die, die mich am meisten anzieht. Dieses Kribbeln, einen Stein in der Hand zu halten, wenn die Bullen losrennen und der Knüppel in meine Richtung schwingt. Da wird etwas in mir ganz ruhig und ich habe neulich erst erfahren, dass das vielleicht gar nicht so gut ist. Meine Traumatisierung(en) machen es mir möglich, mich im schwarzen Block in die erste Reihe zu stellen und den Beamten auch dann noch zu beleidigen, wenn der Schmerzgriff enger wird. Ich dachte lange, dass ich eben besonders mutig oder selbstlos bin. Leider stimmt das so nicht ganz und ich muss mit meinem Bild, der unerschrockenen, unverzagten Zecke, brechen. In mir gerät etwas außer Kontrolle und ich kann nicht mehr so richtig steuern, was mein Körper macht. Das wird auch Dissoziation genannt. Mein Körper verselbstständigt sich und sucht sich Orte, an denen er wahrscheinlich Gewalt erfahren wird. Ich frage mich manchmal, wie vielen krassen Leuten da ganz vorne, in der ersten Reihe, es genauso geht. Wer stellt sich denn sonst freiwillig unbewaffnet vor Robocops und zündet Pyro an? Irgendwie wird darüber nicht geredet. Nicht über Trauma, nicht über Mackerhaftes Verhalten, nicht über die Folgen der Gewalt, die wir erfahren. Auch
nicht darüber, was es mit deinen Freund*innen macht, wenn sie zusehen müssen, wie du niedergeknüppelt wirst.
Für mich ganz persönlich revolutionäre Momente (und das ist nicht bezogen auf das Weltgeschehen) sind die, in denen ich in den Armen meiner Freundis liege und weinen kann. Denn unter meiner Wut liegt ganz viel Trauer. Revolutionär war es, als ich anfing zu erkennen, welche Mechanismen da bei mir greifen. Wenn ich Riot-Cops sehe, wenn alles nach Rauchtöpfen riecht und die Pflastersteine schon aus der Straße geholt wurden. Revolution beginnt in mir, wenn ich anfange, mich als genauso wertvoll zu betrachten, wie die Idee meiner Utopie, für die ich kämpfe. Auf die ein oder andere Art und Weise wurden wir alle durch die Unterdrückung dieser Herrschaftsysteme zugerichtet. Das Bild, dass in Sanftheit Radikalität, in Zerbrechlichkeit Stärke liegt, brennt nun in mir wie ein Bengalo in der Nacht.